Abbildung 1.1:
Schematisches Bild einer Schwerionenkollision mit den dominanten
Flußeffekten (Bounce-Off, Side-Splash und Squeeze-Out) der Nukleonen.
Der Bounce Off ist die seitliche Deflektion von an der Reaktion unbeteiligten
Nukleonen (Spektatoren) in die Reaktionsebene. Auch ein Teil der an der
Reaktion beteiligten Nukleonen (Partizipanten) wird in die Reaktionsebene
emittiert. Sie bilden den sogenannten Side-Splash. Zusätzlich gibt es
eine Emission von Nukleonen aus der Reaktionszone (Fireball) senkrecht
zur Reaktionsebene, den Squeeze-Out. Die Stärke dieser
kollektiven Flußeffekte läßt
sich bisher nur mit Modellen mit hydrodynamischen Ansätzen reproduzieren.
Kaskadenmodelle, die eine Schwerionenreaktion als eine
Überlagerung von Stößen einzelner
Nukleonen beschreiben, produzieren dagegen nur sehr geringe
Flußeffekte.
Die Untersuchung der nuklearen Zustandsgleichung ist für die Kern- und Astrophysik von fundamentaler Bedeutung. Während das Verhalten der Kerne in der Nähe der Grundzustandsdichte und bei kleinen Anregungsenergien gut erforscht ist, sind ihre Eigenschaften bei hohen Dichten und Temperaturen weitgehend unbekannt.
In der Natur kommen derartig extreme Dichten nur im Inneren von
Neutronensternen und bei Supernovaexplosionen vor.
Die einzige Möglichkeit komprimierte und angeregte Materie im Labor
zu untersuchen sind Schwerionenkollisionen bei mittleren Energien.
Um bei der Interpretation der Resultate den thermodynamischen Ansatz
einer Zustandsgleichung zu rechtfertigen, sollten die
verwendeten Kerne möglichst viele Nukleonen enthalten. Die
Projektilgeschwindigkeit muß größer sein als die Schallgeschwindigkeit in
Kernmaterie, damit überhaupt ein Kompressionseffekt auftritt.
Aber sie
darf auch nicht so groß sein, daß sich die Kernreaktion als
pure Überlagerung von Stößen einzelner Hadronen darstellt. Bei einer
solchen Schwerionenkollision wird bei Einschußenergien zwischen 100AMeV und
2AGeV für einen Zeitraum von etwa 10 die zwei- bis dreifache
Grundzustandsdichte erreicht [Cas90].
Aufgrund der sehr kurzen Zeitskala ist eine direkte Beobachtung dieser
Ereignisse unmöglich.
Der einzige experimentelle Zugang besteht daher in der Messung der bei
dieser Reaktion produzierten Teilchen.
Erste Experimente dieser Art fanden am BEVALAC-Beschleuniger in Berkeley statt. Hieraus ergab sich das in Abbildung 1.1 dargestellte Bild: Im Überlappbereich der beiden kollidierenden Kerne wird die Kernmaterie stark verdichtet und teilweise senkrecht zur aus Strahlachse und Stoßparameterb aufgespannten Reaktionsebene herausgequetscht (Squeeze-Out). Die Untersuchung dieser sogenannten Partizipanten bietet den direktesten experimentellen Zugriff auf die hochangeregte Kernmaterie. Im Gegensatz zu den Partizipanten werden die nicht unmittelbar an der Reaktion beteiligten Spektatoren in die Reaktionsebene gestreut (Bounce-Off). Zusätzlich werden noch einige Partizipanten ebenfalls in die Reaktionsebene emittiert (Side-Splash). Wie stark die einzelnen Effekte sind hängt von der Einschußenergie und der Zentralität des Stoßes ab. Mit der Installation des Schwerionensynchrotrons SIS bei der GSI in Darmstadt ist dieser Energiebereich seit 1991 mit erheblich besserer Strahlqualität und -intensität zugänglich.
Die Komplexität einer Schwerionenreaktion erfordert die
gleichzeitige Messung mehrerer
Observabler, um Mehrdeutigkeiten beim Vergleich mit theoretischen Modellen
weitgehend auszuschließen. Weil stoßparameterabhängige
Flußeffekte eine große Rolle
spielen, sind inklusive Messungen ohne genauere Ereignischarakterisierung
wenig sinnvoll.
Das bedeutet aber, daß es nötig ist, die einzelnen Ereignisse möglichst
vollständig zu rekonstruieren. Zu diesem Zweck wurde der 4 -Detektor
konzipiert. Durch den fast vollständigen Nachweis aller geladenen Teilchen
ist es möglich, die Reaktionsgeometrie (Zentralität, Reaktionsebene)
sehr präzise festzulegen und alle Observablen für geladene Teilchen
zu messen.
Zu ihnen zählen bei niedrigen Energien vorwiegend Flußeffekte mittelschwerer Fragmente [Wie93]. Es konnte gezeigt werden, daß es auch in zentralen Stößen eine im Schwerpunktsystem vollständig abgestoppte Quelle für solche Fragmente gibt [Sod94].
Bei höheren Energien setzt die Mesonenproduktion insbesondere von Pionen ein.
Weil diese Teilchen erst in der Reaktion produziert werden, verfügt
man mit ihnen über eine direkte Sonde aus der Reaktionszone ohne eine
Kontamination durch Spektatoren wie bei den Baryonen.
Weil für die Produktion von Mesonen Energie aufgewendet
werden muß, ist ihre Multiplizität alleine schon ein Maß für die im
System vorhandene Anregungsenergie. So lassen sich Rückschlüsse auf die
Umwandlung der Projektilenergie in Anregungsenergie und damit auf den Grad
des Abstoppens ziehen; eine Fragestellung, die
mit der Kompressibiltät von Kernmaterie
und damit der nuklearen Zustandsgleichung eng verbunden ist.
Die Mesonen werden in einer Schwerionenreaktion bei SIS-Projektilenergien
seltener direkt durch eine
Reaktion NN NN+Meson produziert, sondern eher über Resonanzen
wie die
-Resonanz. Erst beim Zerfall dieser
Resonanz entsteht das Meson.
Diese Resonanzen können als Energiereservoir dienen, wenn sie mit anderen
Nukleonen oder Resonanzen kollidieren, bevor sie zerfallen. Dieser auf die
in der Reaktionszone erreichte Dichte sensitive
Mechanismus ist für eine Produktion von Mesonen unterhalb der Schwelle
von großer Bedeutung [Met93]. So führte die Untersuchung der
''subthreshold'' Kaonenproduktion [Mis94] zu
Spekulationen über eventuelle
Dichteisomere [Har94] der nuklearen Zustandsgleichung.
Ähnliches
wurde früher schon für Pionen diskutiert [Stö78].
Während die Kaonenproduktion in den
Modellen -- wenn überhaupt -- erst störungstheoretisch
implementiert ist, ist die Pionenproduktion meist schon
ein fester Bestandteil. Das in dieser Arbeit für Modellvergleiche benutzte
IQMD-Modell [Har93, Bas93a] beschreibt die Pionenproduktion explizit
durch die Berücksichtigung der
-Resonanz und ihres Zerfalls in
ein Pion und ein Nukleon. Die berücksichtigten Prozesse sind:
Durch exklusive Messungen konnte bereits gezeigt werden, daß Pionen
bei Midrapidität wie die Nukleonen vorwiegend senkrecht
zur Reaktionsebene emittiert werden [Bri93a, Ven93]. Ähnlich
wie bei den Nukleonen nimmt dieser Effekt mit steigendem Transversalimpuls
der Pionen zu. Diese azimutale Anisotropie ließ sich im IQMD-Modell
qualitativ reproduzieren [Bas93b]. Hier wird dieses
Emissionsverhalten auf die Absorption der Pionen in der umgebenden
Spektatorenmaterie zurückgeführt. Denkbar ist aber auch, daß die Pionen
das Flußverhalten der -Resonanzen widerspiegeln, die als angeregte
Nukleonen am Nukleonenfluß teilnehmen müßten. Durch eine Messung
der Pionenemission in einem schmalen Fenster bei Midrapidität läßt
sich diese Frage nicht weiter klären. Es war daher notwendig, die
Flußeffekte der Pionen in einem großen Bereich des Phasenraums zu untersuchen.
Der 4
-Detektor ist in seiner Phase2-Ausbaustufe mit seinem
großen Akzeptanzbereich für Pionen prädestiniert für eine solche Messung.
Folglich diente das erste Experiment der Untersuchung der Pionenproduktion
und ihrer Flußeffekte im System Au+Au bei 1AGeV Projektilenergie.
Die Arbeit ist folgendermaßen gegliedert: In Kapitel2 wird der experimentelle Aufbau beschrieben. Besonderes Gewicht wird hierbei auf die neu hinzugekommenen Komponenten des Detektors gelegt. Kapitel3 beschäftigt sich mit der technischen Seite der Datenanalyse. Eingegangen wird hierbei insbesondere auf die Spurerkennung für die zentrale Driftkammer und ihre Effizienz. Die experimentellen Ergebnisse werden in Kapitel4 vorgestellt. Nach der Einführung der Ereignisklassifikation werden die globalen Rapiditätsverteilungen für die einzelnen Klassen diskutiert. Schließlich werden nach der Festlegung der Reaktionsebene die Flußeffekte von Baryonen und Pionen gezeigt. Ein Vergleich mit den theoretischen Vorhersagen des IQMD-Modells folgt in Kapitel5. Den Abschluß bildet die Zusammenfassung in Kapitel6.